Ein kurzes Vorspiel
Ich habe mal in einem Liebesbrief vor ein paar Jahren folgenden Satz an einen geliebten Menschen verfasst.
“..und so schenke ich dir das, was mir das wertvollste und liebste im Leben ist. Ich schenkte dir all meine Poesie. ”
Ein großes Versprechen und eine vorauseilende Romantik. Ich war hoffnungslos verliebt. Sprache war für mich nicht nur Mittel zum Zweck, diente nicht nur der einfachen, eindimensionalen Verständigung, sondern erweiterte meinen Horizont. Ich schrieb alles auf, was ich erlebte und stellte fest, dass das geschriebene Wort noch eine ganz andere Dimension entwirft.
Und ich habe geschrieben und geschrieben, um mich kennenzulernen und um zu überleben. Sicher ist das drastisch ausgedrückt, aber durch das Schreiben erlangte ich eine Stärke, eine Kraft, wurde unbesiegbar. Wie der Held in einem Märchen aus frühen Kindheitstagen.
Schreiben ist wie Tanzen.
Ähnlich, wie beim Tanzen, übernimmt die Seele die Aufgaben der Sinne, dann beginnt sich der Körper ganz von allein zu bewegen. So bekamen meine Worte einen Rhythmus, wurden zu einer Musik, die ich liebte.
Eine Nähe, die allein durch den Geist entsteht, ist nicht an Realität gebunden. Das hat mich schon immer fasziniert. Traumwelten. Und so schrieb ich nicht nur alles auf, sondern las auch viel.
Bücher waren wie Nahrung, wie ein Lebensmittel unverzichtbar und jedes für sich ein Ausflug in eine andere Sphäre, in eine Tiefe des menschlichen Verstehens. Bücher erklärten mir die Welt.
Und so entstand diese Auswahl von Gedichten, die ich über einen längeren Zeitraum verfasst habe. Ich habe eine wunderbare Familie und großartige Freunde, die alle mehr oder weniger beteiligt sind an dem Werden dieses Bandes. Und natürlich danke ich ihnen für alles. Für ihre Geduld, ihren Spürsinn, ihre Kritik und ihre Zuneigung. Gewidmet habe ich es einem ganz besonderen Freund. Oliver Eufinger. Ich bin mir gar nicht sicher, ob in diesem speziellen Fall, das Wort Freundschaft, das Verhältnis zu diesem außergewöhnlichen und besonderen Menschen beschreiben kann. Geistes – vielleicht sogar Seelenverwandtschaft trifft es vielleicht besser. Etwas, das es nicht so oft zwischen Menschen gibt und das mich an die Grenzen meiner Worte und Beschreibungsmöglichkeiten führt. Überhaupt muss ich oft darüber nachdenken, ob es diese Grenzen der Worte wirklich gibt oder ob es sich um noch nicht erklommene Horizonte handelt, die es noch zu erlernen gilt.In semantischer Hinsicht sind Wörter kleinste, relativ selbstständige Träger von Bedeutungen. Die Bedeutung von Wörtern wird aber von ihrem Kontext der Äußerung mitbestimmt und ist deshalb nicht ohne weitere Untersuchungen erklärbar. Aber was heißt das genau? Wir können uns ausdrücken. Wir können sachliche, aber auch seelische und nicht fassbare Stimmungen, Gefühle und Erlebnisse mitteilen und damit ein Bild unseres Lebens zeichnen. Die Sprache ist also ein Mittel der Verständigung und des Austausches und die Grenze, die individuell beherrscht wird und damit veränderbar ist, ist ein Zeichen unserer Erziehung, Bildung und innere Einstellung. Oliver Eufinger – Klavki, wie er mit Künstlernamen hieß war ein Kieler Schriftsteller, den ich im Rahmen einer Lesung kennengelernt hatte. Und er ist ein gutes Beispiel für die Sprengung dieser Grenzen.
Seine Sprache erschien mir neu, unverklärt und rein. Jedes einzelne Wort hatte eine ganz eigene Anziehungskraft und Energie. Man fühlte sich unweigerlich angezogen. Bei einem Projekt – Schrift im Land – suchte er einmal mit groß aufgestellten Leuchtbuchstaben einen “Menschen“ oder fragte “Wer hat Herz genug?“
Er hatte Krebs im Endstadion, als ich ihn kennenlernte, einen sehr seltenen Tumor direkt am Herzen. “Die undichte Stelle in der Zeit suchen“ nannte Klavki seine Art zu schreiben und bezog das auch auf den Krebs, den er als die “Wunde Text“ in ihm begriff. Er war bereits sehr krank, als er mich zu einer Lesung in meinem Café besuchte und doch wollte er unbedingt lesen, sich unbedingt mitteilen, sozial sein, solange es ging. Es ist schwer zu beschreiben – hier wieder ein Hinweis auf meine Grenzen – aber es ging eine Magie von diesem Menschen aus, die sich auch auf die Gäste der Lesung übertrug. Meine Arbeit als Leiterin eines Literaturcafés bewegte sich für diesen Moment aus dem Alltag der Arbeit heraus und bekam eine andere Bedeutung. Alle im Raum teilten Freude und Glück aber auch den Schmerz und die Verzweiflung seiner Geschichten und Gedichte. Was blieb und für immer bleiben sollte, war die Größe und Sehkraft dieses Menschen. Er hatte uns in seinen Bann gezogen, wir fanden uns alle wieder in diesen Gedankengängen und lernten uns selbst besser kennen. Klavki und ich sind Freunde geworden. Freunde, die ein besonderes Verhältnis zueinander hatten. Solche Verhältnisse brauchen keine Quantität, sondern sind allein durch die Intensität der Momente und des geistigen Austausches geprägt. Liebe zu den Menschen beschreibt dieses Gefühl, eine achtsame, mitfühlende und im großen Sinne gesehene Liebe. Ich kann mit Recht behaupten, das Klavki mein Leben verändert hat. Wir haben uns Briefe geschrieben und ich habe ihn mehrmals in Kiel besucht und seine Familie und Freunde kennengelernt.
Wir fühlten uns, wie ein gemeinsames Teil, des Großen Ganzen. Klavki starb am 04. April 2009 im Alter von 36 Jahren an seinem Tumor. Und wie in meinem Gedicht “Abschied“ beschrieben, schaue ich manchmal in den Himmel und spüre seinen Beistand.
“Wir haben ja Flügel, Mensch: unser Herz!“(Klavki)