Paul Auster «Mann im Dunkel» Rowohlt Verlag 2008

Nachdem ich vor ein paar Wochen eine Rezension über einen Roman von Siri Hustvedt geschrieben habe, erschien es mir persönlich wichtig, auch eine Rezension über einen Roman von Paul Auster zu verfassen. Bekanntlich sind die beiden ein Ehepaar und ich habe die Ansicht vertreten, das sie beide ganz für sich stehen in ihrer Arbeit als Schriftstellerin / Schriftsteller. Vielleicht deshalb auch mein Bedürfnis über einen Roman von Paul Auster zu schreiben, um meine Aussage zu unterstreichen.

Ich habe schon einige Romane von Paul Auster gelesen und als letzten diesen hier: «Mann im Dunkel». Es ist sein vierzehnter Roman. Er sagte mal in einem Interview:

»Ich bekomme die besten Kritiken und die schlechtesten Kritiken aller Autoren, die ich kenne«.

Entweder man liebt die Romane von Paul Auster oder man mag sie nicht, eine Mitte gibt es da selten. Ich gehöre auf jeden Fall zu ersteren und bin immer wieder hingerissen von der Spannung der Geschichten, dem psychologisch fein verwobenen Aufbau der vielen kleine Episoden, die er gekonnt miteinander verknüpft. Die Sprache ist verblüffend schnell und kommt meisterlich leicht wirkend daher. Nicht selten habe ich das Gefühl, wenn ich einen Roman von Paul Auster zu Ende gelesen habe, auch am Ende einer Achterbahnfahrt zu sein. Ich bin außer Atem und die Personen und Handlungen setzen sich in meinem Kopf fest.

Oft denke ich noch tagelang darüber nach, was jetzt, nachdem die Geschichte nun mal ein Ende hatte, wohl aus diesen Figuren werden soll und wie ihr Leben weiterhin aussehen würde.

Also zum Roman: Die Hauptfigur ist der zweiundsiebzigjährige Literaturkritiker August Brill, der es in seinem Leben auf über 1500 Kritiken gebracht hat und sich jetzt im Alter die Sinnfrage, bezogen auf die Beiläufigkeit seiner Arbeit, stellt. Er hat zwar begonnen einen Roman zu schreiben, hauptsächlich für seine Enkelin, scheitert aber. Jetzt ist er ein alter Mann, der nicht schlafen kann und der sich seinen Phantasien ergibt, um seine Erinnerungen zu verdrängen, seine Versäumnisse und seine Fehltritte. Er erfindet Owen Brick, der sich plötzlich in einer gewaltsamen Version eines amerikanischen Bürgerkrieges befindet. Dieser erhält die Aufgabe – ihn, den Schriftsteller August Brill zu töten, der verantwortlich ist, allein durch seine Gedanken diesen Krieg und seine Protagonisten erfunden zu haben. Nur durch das Töten dieses Schriftstellers wird der Krieg ein Ende haben. Faktisch fast eine Selbsttötung. Kafkaesk wirkt diese Verquickung von Fiktion und Wirklichkeit, aber es kommt nicht so leichtfüßig daher, wie sonst so oft in Paul Austers Geschichten. Düstere Visionen und Parallelwelten und die Verzweigung zur Realität sind eine politische Parabel zum blutigen Kampf Amerikas um die Macht nach der betrügerischen Wahl 2001.

August Brill, der unter seiner unglücklichen Biographie leidet, stellt hier instinktiv die literarische Frage von einem Zusammenhang zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Leid und ob dieses Leid „vergleichbar“ ist.

Während der gescheiterte Literaturkritiker sich also als Akt des eigenen Überlebens immer mehr in seine Phantasien verstrickt, liegen seine Tochter und seine Enkelin im selben Haus ebenfalls wach. Die Tochter, die von ihrem Ehemann verlassen wurde und mit dieser Trennung emotional nicht zurecht kommt und die Enkelin, die schreckliches durchlebt, weil ihr Mann im Irakkrieg vor laufender Kamera hingerichtet worden ist. Auch mit dieser Trauer und diesem Trauma muss Brill sich auseinandersetzen. Besonders am Beispiel der Enkelin erfährt man die politische Auseinandersetzung Paul Austers mit der amerikanischen Politik von G. Bush auf ziemlich drastische Art. Berührend dazu die Tatsache, das er diesen Roman dem israelischen Schriftsteller David Grossman und seiner Frau Michal gewidmet hat, die ihren ältesten Sohn im Libanonkrieg verloren haben.

Ein Detail, das ich persönlich sehr mochte, sind die hochsensiblen Gespräche über Filme, die August Brill mit seiner Enkelin führt.

Sie schauen gemeinsam viele Filme an und alles was sie darüber sagen, geht weit über die eigentliche Handlung hinaus und beschreibt eine Nähe dieser beiden Menschen, die mich sehr gerührt hat. Auch die Liebe wird in all ihrer Schönheit sehr persönlich beschrieben.

Für mich ist Paul Auster ein phantastischer Geschichtenerzähler.